Darum ist ein bundesweit einheitliches Zentralabitur unmöglich
Vor acht Jahren forderte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zur Vergabe von Studienplätzen im Fach Medizin mehr Vergleichbarkeit bei den Abiturnoten. Deshalb hat die Kultusministerkonferenz einheitlichere Regeln auf den Weg gebracht. Doch Studien zeigen, dass das Problem ein ganz anderes ist.
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Eine langwierige Debatte
Die Debatte um die Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen ist ein Dauerthema, für das verschiedene Gesichtspunkte Nährboden liefern. So machen viele Schüler ihr Abitur nach 13 Jahren, einige aber schon nach zwölf Jahren.
Manche Schüler können es sich leisten, Nachhilfeunterricht zu nehmen, andere nicht. Dazu kommen die gängigen Klischees: In Bremen oder Nordrhein-Westfalen ist das Abitur viel leichter als in Bayern oder Baden-Württemberg.
Das große Problem an der ganzen Sache und damit Auslöser für die Debatte ist, dass die Universitäten die Abiturnoten gleich behandeln. Sie unterscheiden nicht danach, in welchem Bundesland ein Schüler sein Abitur gemacht hat.
Demnach bekommt ein Bremer einfacher einen Studienplatz in einem Fach mit Numerus Clausus als ein Bayer.
Denn seine Abiturprüfung war vermeintlich leichter und so eine bessere Note eher zu erreichen.
Komplizierte Vergleichbarkeit des Abiturs
Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, das Abitur zu vergleichen. Ein Grund dafür ist, dass es zwar in fast allen Bundesländern einen gemeinsamen Aufgabenpool für die vier Kernfächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch gibt.
Die Aufgaben müssen den Bildungsstandards gerecht werden, die bundeseinheitlich für die Allgemeine Hochschulreife gelten. Allerdings gestalten die Kultusministerien der Bundesländer die Aufgaben länderspezifisch aus.
Für die anderen Fächer gibt es so einen Aufgabenpool nicht. Und in Rheinland-Pfalz existiert gar kein gemeinsamer Aufgabenpool.
Dazu kommt, dass die Ergebnisse der Abiturprüfung nur ein Drittel der Abiturnote ausmachen. Zu zwei Dritteln wird die Abinote durch die Noten während der sogenannten Qualifikationsphase bestimmt.
Die Qualifizierungsphase sind die beiden letzten Schuljahre vor dem Abitur. Für die Abinote sind also die beiden vorhergehenden Schuljahre wichtiger als die eigentliche Abiturprüfung.
Doch gerade diese Zeit kann je nach Schule sehr unterschiedlich sein.
Vor diesem Hintergrund ist eine absolute Vergleichbarkeit der Abiturnoten sogar innerhalb eines Bundeslandes nahezu unmöglich. Nicht umsonst urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017, dass eine annähernde Vergleichbarkeit erreicht werden müsse.
Einheitliche Rahmenrichtlinien für mehr Vergleichbarkeit
Um der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 2023 mehr bundeseinheitliche Regeln definiert und die strukturellen Rahmenbedingungen enger gefasst.
So sollen zum Beispiel nicht mehr bis zu vier, sondern nur noch zwei oder drei Leistungskurse möglich sein. Hat ein Schüler nur zwei Leistungskurse, fließen diese doppelt in die Wertung ein.
Außerdem müssen die Schüler künftig vier Kurse mehr in die Gesamtqualifikation für die Abiturnote einbringen. Durch die neuen, bundeseinheitlichen Regeln haben die Länder und die Schulen etwas weniger Spielraum, doch dafür steigt die Vergleichbarkeit.
Eine weitere Neuerung ist, dass festgelegt wird, wie viele Klausuren in der Qualifikationsphase geschrieben und wie diese gewichtet werden. Eine Bewertung, wie effektiv die Maßnahmen sind, lässt sich noch nicht vornehmen.
Denn die Änderungen sollen spätestens die Schüler betreffen, die 2030 Abi machen.
Laut KMK haben aber auch die Bundesländer in den vergangenen Jahren schon verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Abiturnoten deutlich vergleichbarer machen.
Und bei der Abiturprüfung 2025 kamen erstmals auch die Abituraufgaben in den Fächern Biologie, Chemie und Physik aus einem gemeinsamen Aufgabenpool.
Überprüft werden die Pools mit den Abituraufgaben der Länder übrigens regelmäßig vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB).
Besser kein bundesweit einheitliches Zentralabitur
Obwohl immer wieder darüber diskutiert wurde und wird, gibt es bisher kein bundesweit einheitliches Zentralabitur. Und nach Ansicht einiger Experten ist das auch gar nicht notwendig. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) zum Beispiel setzt sich für Bildungsföderalismus ein.
Er vertritt die Auffassung, dass ein Schulabschluss das Ergebnis eines ganzen Bildungsweges ist. Deshalb sollte es ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen vergleichbaren, länderübergreifenden Standards und pädagogischen Gestaltungsspielräumen geben.
In die Abituraufgaben sollten die Bildungspläne der Länder und die Gestaltung des Unterrichts vor Ort einfließen dürfen. Vergleichbarkeit durch Zentralprüfungen würde die Unterschiede von Bildungsplänen nivellieren und die pädagogische Autonomie einschränken.
Auch der Deutsche Philologenverband (DPhV) spricht sich gegen ein bundeseinheitliches Abitur aus.
Dieses wäre nur dann möglich, wenn sich die Abiturnote ausschließlich aus den Ergebnissen der Abiturprüfung ergeben würde.
Der DPhV befindet aber gerade die Kombination aus den Leistungen der zweijährigen Qualifikationsphase und den Abschlussprüfungen für gut. Er plädiert für ein anspruchsvolles Landesabitur mit bundeszentralen Inhalten.
Mehr Vergleichbarkeit wäre möglich, wenn entweder die Leistungen aus der Abiturprüfung stärker gewichtet oder die Bewertungsunterschiede zwischen den Ländern und den Schulen in der Qualifikationsphase angeglichen würden.
Die Noten als eigentliches Problem
Folgen wir Studien, scheitert eine echte Vergleichbarkeit ausgerechnet an den Bewertungen. Selbst wenn es einheitliche Klausuren in der Qualifikationsphase gäbe und die Abiturprüfungen aus einem bundeseinheitlichen Aufgabenpool entnommen würden, sind es letztlich die Noten, die über den Abischnitt entscheiden. Doch die Noten variieren je nach Schule, Lehrer und Schüler.
In einer umfangreichen Studie, für die die Daten von rund 55.000 Schülern ausgewertet wurden, zeigte sich, dass vor allem die unteren Ebenen im Bildungssystem über die Notengebung entscheiden.
Demnach fällt weniger ins Gewicht, in welchem Bundesland ein Schüler zur Schule geht. Es zählen eher die Schule, der Lehrer und das Schulfach.
Die Unterschiede ergeben sich aus der Umsetzung des Lehrplans auf Schulebene und aus den Benotungsstandards der jeweiligen Lehrkraft. Auch die Tendenz von Lehrern, ihre Benotung an die der Kollegen anzugleichen, spielt eine Rolle.
Eine andere Studie zeigte eine starke Verzerrung bei der Benotung auf. Demnach wirken sich Faktoren wie das Geschlecht, die Körpergröße und Statur, die ethnische Zugehörigkeit und der wirtschaftliche Status der Eltern deutlich auf die Beurteilung aus.
Kinder aus einem armen Haushalt oder mit ausländischen Wurzeln bekommen in vielen Fächern schlechtere Noten als Kinder aus einer wohlhabenden Familie.
Mollige Kinder werden schlechter bewertet als dünne Kinder und Mädchen schneiden in Physik schlechter, in Deutsch oder Biologie dafür aber besser ab als Jungs.
Eine bundesweit einheitliche Vergleichbarkeit der Abiturnote scheitert also allein schon daran, dass die Notengebung die erbrachten Leistungen nicht rein objektiv erfasst. Stattdessen wird sie immer von denjenigen beeinflusst, die die Noten vergeben.
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